Interviews

Kurier März 2020 mit Isabella Leitenmüller-Wallnöfer

Wie geht's Ihnen angesichts Corona?
Wahrscheinlich wie uns allen. Die Kasernierung halte ich mit meiner Familie ziemlich gewissenhaft ein. Wir müssen auch meine Mutter versorgen, die zur höchsten Risikogruppe gehört. Aber letztendlich haben wir genug zu tun. Wir müssen so und so viel Zuhause vorarbeiten – für die Zeit danach.

Ihr Sohn ist 14. Wie kommt er zurecht?
Es ist toll zu sehen, wie schnell Jugendliche lernen können, sich selber zu organisieren. Alles geht langsam ins Gehirn rein, wie bei allen Pubertierenden – aber er hat die Situation verstanden. Ich denke, dass das Schuljahr zu Ende geführt werden sollte, wenn nötig von zu Hause aus. Man nimmt den Kindern sonst die Perspektive. Vielleicht könnte man versuchen, Eltern und Schülern das nötige Equipment zur Verfügung zu stellen. Es ist wichtig, dass Kinder bildungsmäßig nicht benachteiligt werden, weil sie keinen Zugang zu einem Computer haben.

Viele erinnert die Pandemie an Katastrophenfilme. Uns Sie?
Wir sind ja speziell in Österreich wirkliche Katastrophen nicht mehr gewöhnt. Ich bin am Sonntag 51 geworden – und habe zum Glück keinen Krieg erlebt. Nicht einmal mehr die Studenten-Revolution. Das Ende des Kalten Krieges war vielleicht noch ein Ereignis. Aber allgemeine körperliche Not kannten wir nicht, oder die Situation, dass fast alle plötzlich keine Einkünfte mehr haben. Dazu kommt: Es ist so schnell gegangen. Das erinnert mich an „The Outbreak“, wo es genau darum geht: ein Virus, das niemand kennt. Die Wissenschaft sagt seit Jahren, dass so etwas immer wieder kommen wird. Was wir jetzt an Engagement und Solidarität erleben, das wäre übrigens die Emphase, die wir auch bräuchten, wenn es darum geht, den Planeten zu retten.

Wird Kultur zum Streaming-Erlebnis oder werden wir wieder im Theater sitzen?
Ich hoffe sehr, dass wir wieder ein gemeinschaftliches Kulturerlebnis haben werden. Auch für uns Künstler. Ich drehe gerne Filme, aber live vor Publikum, das ist nicht zu ersetzen. Das gute alte Geschichtenerzählen. Streaming-Dienste in der Kultur sind schon länger Realität. Und es ist eine wunderbare Chance, eine Opernaufführung aus Covent Garden im Kino zu erleben, wenn man nicht nach London fahren kann.

Wie ist Ihr Arbeitsleben betroffen?
Es liegt alles auf Eis. Es wäre jetzt in die Planung für die nächsten Dreharbeiten gegangen – eine dritte Staffel „Meiberger“ und ein Altaussee-Krimi für Servus-TV. Jetzt ist alles offen. Das trifft mich wie alle anderen: keine Einnahmen und Projekte. Ich kann nicht sagen,  wann und ob sie weiter gehen.

Machen Sie sich Sorgen?
Man kann das eine Zeit lang durchhalten. Da beginnt dann der Teil, der sehr schwierig ist für die Kunstschaffenden. Da gibt es viele, aus allen Kunstrichtungen, die keinerlei Einnahmen haben. Es gab sowieso viele arbeitslose Schauspieler oder solche mit nicht sehr hoch dotierten Jobs. So etwas wie jetzt ist wie ein allgemeiner Stromausfall. Dann geht gar nichts mehr. Daher bin ich dafür, dass wir ernsthaft über Absicherungen diskutieren – nicht nur für Kunstschaffende.

Der ORF zeigt den TV-Krimi „Im finsteren Tal“. Gedreht wurde in Bad Gastein.
Auffallend war für mich, dass in Bad Gastein extrem viel Verfall herrscht: Mittagessen unter einer absurden 70er-Jahre-Fertigbeton-Fassade, wo das Eisen rauskommt. Aber es ist auch wunderschön. Ich hatte mich mit Bad Gastein vorher nie beschäftigt, obwohl meine Großeltern mütterlicherseits dort in den 1950er Jahren eine Konditorei besessen haben – bis der Geschäftsführer mit den Einnahmen verschwunden ist. Ich habe versucht herauszufinden, wo die Konditorei stand – aber ich hab's nicht gefunden.

Sie spielen einen Polizisten, der ermittelt, aber Leute, die er liebt, schützen will.
Franz Robanegg ist ein Polizist, der definitiv nicht nur den Verkehr regeln kann. Aber die grundsätzliche Überforderung, dass er eigentlich richtig denkt und dann trotzdem das Falsche macht – so etwas habe ich sehr gerne an Figuren, wenn sie so eine absurde Kettenreaktion auslösen.

Der steckt im Tal fest, wo jeder jeden kennt – das ist Segen, aber auch Fluch.
Absolut. Man ist abgeschieden, hat seine eigene Welt. Robanegg weiß, was es bedeutet, wenn die Einwohner von Bad Gastein etwas erfahren. Die Dinge verstummen nicht, sie bleiben an einem kleben. Je größer die Welt ist, desto eher kann man verschiedene Lösungsansätze herbeiführen. Deshalb bin ich ein Freund der großen Weltvernetzung, ein Freund von Europa: Dass wir voneinander wissen, die Einflüsse aufnehmen, offener werden. Und ich finde es absurd, dass ein Land wie Österreich es nicht hinkriegt, eintausend Kinder aus einem Flüchtlingslager aufzunehmen. Die haben den Winter gerade überlebt, jetzt droht Corona. Es ist lächerlich, dass wir das nicht schaffen wollen.

Ihre Empfehlung für Corona-Kasernierte?
Immer gut ist Philipp Bloms „Der taumelnde Kontinent“ über die Jahre 1900 bis 1914. Es geht weniger darüber, wie man politisch in den 1. Weltkrieg gestolpert ist, sondern über eine Gesellschaft, die gerade die Geschwindigkeit entdeckt hatte und zu welcher Veränderung das in der generellen Wahrnehmung führte. Oder sein Buch „Die italienische Reise“, in der Blom der Geschichte seiner Geige folgt. Zum Üben lese ich auf Englisch Daniel Silvas Gabriel-Allon-Reihe, Krimis im Sinne von Jason Bourne, in einem rasanten Stil geschrieben . . . Ich gehöre zu den fürchterlich altmodischen Menschen, ich brauche die Haptik des Buches.

Interview Wiener Zeitung vom 15.06.2019 mit Christine Dobretsberger

Carolin Pienkos und Cornelius Obonya:
"Wir wollen Emotionen und Pathos zulassen"

"Seelenverwandte", Teil 6: Die Regisseurin und der Schauspieler über ihre spezielle Arbeits- und Privatbeziehung - und die Relevanz der "Zauberflöte", bei der sie gemeinsam Regie führen.

"Wiener Zeitung": Im Tennis gibt es dieses ungeschriebene Gesetz, wonach Ehepaare besser nicht miteinander Doppel spielen sollten, weil sonst der Haussegen schief hängen könnte. Sie sind seit 17 Jahren verheiratet und führen neuerdings auch gemeinsam Regie. Sehen Sie diese Zusammenarbeit als Bereicherung oder eher als Belastungsprobe für Ihre Beziehung?

Carolin Pienkos: Als absolute Bereicherung! Wir können permanent an dem, was uns gedanklich beschäftigt, arbeiten. Wir sind uns immer Gesprächspartner.

 

Cornelius Obonya: Wir reden ständig miteinander, das war von Anfang an so. Noch bevor wir zusammenkamen, war unsere große Basis das Gespräch. Dann war ohnehin schnell klar, dass wir uns ineinander verliebt haben. Vor der ersten gemeinsamen Arbeit, das ist jetzt über 17 Jahre her, haben wir gesagt: Wenn wir anfangen zu streiten, dann werden wir nicht mehr miteinander arbeiten, weil das Private wichtiger ist.

Pienkos: Und es wird immer intensiver!

Frau Pienkos, Sie haben schon viele Stücke inszeniert, wo Herr Obonya als Schauspieler agiert hat. Beim gemeinsamen Regieführen ist die Ausgangslage allerdings doch eine andere, zumal das eindeutig Ihr Metier ist. Wie darf man sich die Aufgabenteilung dabei vorstellen?

Pienkos: In Vorbereitung einer Produktion muss man das ganze Stück ja gedanklich durchspielen. Dazu gehört auch, die dramaturgische Entwicklung der einzelnen Figuren zu prüfen. Ist eine Figur konsequent gearbeitet? Ist es logisch, dass sie sich auf diese oder jene Art entwickelt? All das mit jemandem zu besprechen, der aus der Perspektive des Schauspielers argumentiert, ist eine Bereicherung für einen Regisseur, weil es hilft, in die Innenperspektive der Figur zu finden.

Obonya: Wir Schauspielerinnen und Schauspieler bauen unsere Rollen von innen heraus auf - wie ein Schichtkäse. Regisseure haben meist bereits den kompletten Schichtkäse vor sich, sie wissen längst, wo das Ganze hinführen soll. Für den Schauspieler braucht es aber oft noch ganz andere Ecken und Wege, um an diesen Punkt zu gelangen. Bei Proben versuchen wir diese einzelnen Schichten für uns erfahrbar zu machen. Und dann beginne ich als Schauspieler das zu begreifen, was der Regisseur im besten Fall von Anbeginn gemeint hat. Hier miteinander ein Timing zu finden, ist die Aufgabe. Ich bin sehr dankbar, dass meine Frau es zulässt, dass wir gemeinsam Regie führen.

Die erste gemeinsame Regiearbeit war die Inszenierung der "Fledermaus" an der Mailänder Scala 2018. Wie kam es zu diesem Angebot?

Pienkos: Alexander Pereira hatte den Plan, zum ersten Mal an der Scala eine "Fledermaus" auf den Spielplan zu setzen - und da bot es sich natürlich an, eine österreichische "Fledermaus" zu machen. Cornelius spielte zum damaligen Zeitpunkt den "Jedermann" in Salzburg - und so kam es plötzlich zu dieser völlig überraschenden Anfrage.

Obonya: Es war für uns beide ein Sprung ins kalte Wasser. Für Carolin insofern, weil es zum ersten Mal Musiktheater war, und für mich in doppelter Hinsicht. Dann haben wir gesagt: Okay, mehr als scheitern kann man ja nicht!

Pienkos: Und es hat sich dann alles ganz natürlich ergeben und wir haben dieses Abenteuer mit großer Freude gemeinsam erlebt.

Obonya: Das zieht sich übrigens durch mein ganzes Karriereleben. Alles, was ich zum ersten Mal gemacht habe, musste ich immer in einem absurd schnellen Durchlauf lernen. Learning by doing ist letztlich das Einzige, was einen in diesem Beruf weiterbringt, wenn man verschiedene Dinge ausprobieren möchte.

Nun zeichnen Sie gemeinsam für die Regie der "Zauberflöte" verantwortlich, die am 10. Juli im Römersteinbruch St. Margarethen Premiere hat. Was darf man sich erwarten?

Pienkos: Wir wollen ein Märchen erzählen, das heute noch Relevanz hat und vor allem eine gesellschaftliche Vision zeigt, die in dieser Oper steckt. Die Ideale der Gleichheit und Vernunft, vor allem auch zwischen Mann und Frau werden thematisiert.

Und ein anderer wesentlicher Erzählstrang ist die Heldengeschichte Taminos, der seine Ängste überwindet und es schafft, seine bedingungslose Liebe zu beweisen. Ebenso wie Pamina. Das macht sie ebenbürtig. Aber dafür müssen sie ihr Leben aufs Spiel setzen. Das ist große Leidenschaft und große Verzweiflung. Wir wollen Emotionen, Pathos zulassen, was heute viel zu oft mit Sentimentalität verwechselt und verspottet wird.

Obonya: Man muss in diesem Rahmen auch ganz anders agieren als in einem Opernhaus: Man muss klare, große Gesten finden.

Pienkos: 60 Meter Bühnenbreite ist eine Dimension, bei der man den Blick des Zuschauers einfach fokussieren muss. Wir wollen auch die Dialoge klarer gestalten. Auch wenn die Zauberflöte - vor allem in Österreich - ein geradezu heiliges Kulturgut ist, sollte man sich nicht vor einem etwas modernisierten Zugang verschließen.

Die Rolle des Papageno wird mit Max Simonischek nicht mit einem Sänger, sondern mit einem Schauspieler besetzt.

Obonya: Das ist keine neue Idee, ganz im Gegenteil. Bei der Uraufführung des Werkes hat Schikaneder (Librettist der "Zauberflöte", Anm.) diese Rolle selbst verkörpert. Er konnte zwar singen, war aber kein Opernsänger, hat sich diese Rolle gewissermaßen auf den eigenen Leib geschrieben.

Wird es das berühmte Duett mit Papagena dennoch geben?

Obonya: Natürlich! Die Musik bleibt so wie sie ist. Wir machen hier keine neue "Zauberflöte", wir wollen das Rad nicht neu erfinden, aber was sehr wohl möglich ist, vielleicht eine andere Schattierung zu zeigen, die uns gut erscheint. Das ist ebenfalls etwas, das uns verbindet: Wir stehen nicht für ein destruktives Theater.

Pienkos: Wir stehen für ein Theater, das sich mit Konflikten auseinandersetzt, wobei wir diese nicht ironisieren oder bagatellisieren, sondern mögliche Ursachen und deren Folgen herausarbeiten. "Coriolan" etwa, den wir 2016 am Akademietheater gemacht haben, zeigt auf großartige Weise, wie disparat ein Konflikt sein kann. Diese späte Shakespeare-Tragödie ist keine Schwarz-Weiß-Erzählung, das ist die große Stärke dieses Stückes, dieses Autors.

Obonya: Gleichzeitig sind wir Künstler aber auch dazu da, noch ein paar Träume weiterzugeben. Und da sind wir wieder bei der "Zauberflöte": Natürlich wäre es schön, wenn es tatsächlich eine Zauberflöte gäbe, wo ich einmal Tüdelidü mache und alles um mich herum funktioniert! Spitze! Gibt es aber nicht. Aber nicht zuletzt dafür wurde dieses Werk geschrieben, denn wenn wir aufhören, diese Träume zuzulassen, dann fühlen wir nichts mehr und hämmern nur noch auf unseren Tastaturen herum.

Pienkos: Wenn man ins Theater geht, will man, denke ich, eine Erfahrung mitnehmen, die einem vielleicht hilft, oder etwas, das einen belebt und innerlich reicher macht. Im Idealfall habe ich durch das Mitfühlen ein reinigendes Erlebnis, eine Art Katharsis. So simpel das klingen mag: Im Grunde wollen wir doch alle glücklich sein, und um dort hinzukommen, stellen sich eben immer diese Fragen: Wie handle ich jetzt, wie handle ich morgen? Da zeigt das Theater im besten Fall Möglichkeiten auf, in denen man sich erproben kann.

Zu Beginn des Gesprächs haben Sie angedeutet, dass die gemeinsame Gesprächsbasis den Grundstein ihrer Beziehung legte.

Pienkos: Dass es zwischen uns eine Seelenverwandtschaft gibt, zeigt sich häufig, indem wir tatsächlich etwas ganz Ähnliches zum gleichen Zeitpunkt denken. Wir sagen auch idente Formulierungen. Das führt dazu, dass wir vieles gar nicht mehr aussprechen, weil wir davon ausgehen, dass der andere ohnedies weiß, was man gerade denkt.

Obonya: Das war beim Regieführen dann irgendwann schon absurd - und ich glaube, das muss auch für manche Kollegen etwas komisch gewesen sein. Meine Frau hat auf der Bühne kaum noch mit mir gesprochen, nur noch Gesichter gemacht - und ich wusste, was sie meint. Das heißt nicht, dass wir keine Diskussionen haben. Es gab schon Proben, wo sie vor den versammelten Kollegen zurecht gesagt hat: Ich kapiere nicht, was du da spielst. Aber gewisse Dinge müssen wir einander einfach nicht mehr aussprechen. Das war schon sehr früh so.

Pienkos: Und das ist etwas, das sich über die Jahre nicht nur erhalten, sondern ausgebaut hat.

Obonya: Ich trau mich zu sagen, je älter ich werde, desto stärker wird unsere Beziehung - und schöner. Mir fällt immer dieser Satz des deutschen Kabarettisten Dieter Nuhr ein: "Man traut es sich eigentlich gar nicht zu sagen, aber ich bin glücklich." Ich darf die schönste Ehe der Welt führen!

Pienkos: Nein, das ist meine!

Wie haben Sie einander kennengelernt?

Pienkos: Ich hatte nach dem Studium gerade erst in München zu arbeiten begonnen, und in dem Moment, wo ich überlegt habe, bleibe ich hier oder nicht, hat Karin Bergmann angerufen und gesagt, Andrea Breth würde gerne mit Ihnen am Burgtheater arbeiten, kommen Sie doch nach Wien. Das war 2001 für "Maria Stuart".

Hat Cornelius Obonya in diesem Stück mitgewirkt?

Pienkos: Nein, wir haben uns zum ersten Mal in der Kantine des Burgtheaters getroffen.

Obonya: Zuvor hatte ich Carolin allerdings schon erspäht gehabt!

Pienkos: Damals saß ich mit Andrea Breth an einem Tisch - und plötzlich stand Cornelius da in einer aberwitzigen Kostümierung aus "Der jüngste Tag".

Obonya: Ich spielte den Wachtmeister, war völlig absurd gekleidet, mit zurückgegelten Haaren und einem aufgeklebten Schnauzbart. Es war optisch so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, was meine Frau nur annähernd attraktiv hätte finden können. Keine Ahnung, weshalb sie trotzdem. . .

Pienkos: Es war das Gespräch! Das ging gleich los! Damals war ich gerade einmal zwei Wochen am Burgtheater.

Obonya: Wenn ich an Wiedergeburten glauben würde, könnte ich sagen: Schön, dass du wieder da bist!

Pienkos: Endlich!, würde ich sagen, mit Vorwurf: Wo warst du so lange?

Sie sind in Norddeutschland geboren und aufgewachsen. Sind in Ihrer Ehe die viel zitierten Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschland und Österreich ein Thema?

Pienkos: Ganz häufig! Letztendlich hat die Umgangsform hier in Österreich eine gewisse Attitüde, die mir als norddeutsche Protestantin immer ein bisschen zu verspielt ist oder zu verschnörkelt - im besten Sinne! Dass ich Dinge - in meiner Wahrnehmung - oft viel kürzer und knapper sage, kommt in den Ohren eines Österreichers, auch meines Mannes, häufig schräg an. Es ist nicht beabsichtigt, aber bekanntlich ist es die gemeinsame Sprache, die uns trennt.

Obonya: Ich bin der Blumigere, ich rede gerne viel und lang. Ich muss immer gebremst werden.

Pienkos: Geben Sie ihm bloß kein geschichtliches Thema, das dauert!

Sie haben zuvor gesagt, dass es Ihnen am Theater nicht zuletzt um das Herausarbeiten von Konfliktsituationen geht. Sind Sie privat ebenfalls konfliktfreudig?

Pienkos: Ich finde es ganz wichtig, dass man in der Lage ist, miteinander auch einen Konflikt auszuleben, und zwar auf erwachsene Art und Weise, also nicht durch Verdrängung oder andere infantile Konfliktstrategien. Das ist etwas, das uns prinzipiell sehr streitbar macht - uns gleichzeitig aber immer wieder herausfordert, uns miteinander auseinanderzusetzen.

Obonya: Das ist letztlich, denke ich, auch wichtig für unseren Sohn, beides zu sehen - der Streit kann da sein, aber das Kind muss genauso sehen, dass die Versöhnung genauso ehrlich und klar funktioniert, dass Konflikte zum Leben nun einmal dazugehören.

Apropos Meinungsäußerung: Sie gehören zu jenen Künstlern, die in der Öffentlichkeit zu politischen Themen klar Stellung beziehen. Ist das ein Resultat der Erziehung Ihrer Mutter, Elisabeth Orth, die ja auch ein sehr politischer Mensch ist?

Obonya: Ich bin so erzogen, ja. Es gibt einen Urantrieb. Wenn ich an meine Großeltern denke, an die Nazizeit, stellt sich schlicht und ergreifend die Frage: Wo zieht man die Grenze? Wenn man sagt, ein Künstler ist nicht politisch, hat sich nicht um Politik zu kümmern, und dann steht man plötzlich neben Herrn Goebbels. Was ist dann? Ich bin eben andersrum erzogen worden, speziell von meiner Mutter, die diesen Kampf mit ihren Eltern (Paula Wessely und Attila Hörbiger, Anm.) wirklich geführt hat, um herauszufinden, was damals gelaufen ist.

Es gab eben auch eine andere Seite, die zumindest hinterfragbar ist, nicht verurteilbar, das können wir uns nicht anmaßen, weil, wie schon Erich Kästner geschrieben hat: Held ist man immer nur in der Sekunde, wo es gefragt ist, weder vorher noch nachher. Niemand kann heute mit Gewissheit sagen, ich hätte das sicher anders gemacht. Nein! Vielleicht wäre man genauso feig in der Ecke gestanden und hätte gesagt, besser nicht. Und dieses "besser nicht" möchte ich nicht erleben und deswegen lieber früher - und hoffentlich halbwegs informiert - den Mund aufmachen, bevor gewisse gesellschaftliche Zusammenhänge zu zerbröseln beginnen, die genau das wieder verursachen könnten. Allein diese Möglichkeit darf schon nicht bestehen.

Dennoch dürften Sie ein besonderes Verhältnis zu Ihrem Großvater gehabt haben, zumal Ihr gemeinsamer Sohn ebenfalls Attila heißt.

Obonya: Ich habe meinen Großvater sehr geliebt! Er hat mir viele Dinge vermittelt, die ich heute noch schätze, gerade auch in Sachen Humor. Da ist auch meine Mutter ihrem Vater durchaus ähnlich, also darin, gewisse Dinge, aber auch sich selbst, nicht ununterbrochen so ernst zu nehmen. Um ehrlich zu sein, hätte ich mich nicht getraut, diesen Vorschlag zu machen, aber Carolin meinte, Attila ist ein wunderschöner Name - und so haben wir gesagt, ja, soll der Name auch in dieser Familie weiterleben.

 

Interview Elisabeth Orth und Cornelius Obonya Kleine Zeitung 2018 mit Julia Schafferhofer

Herr Obonya, was sind Ihre prägendsten Erinnerungen an Ihre Kindheit?
CORNELIUS OBONYA: Eine riesengroße Erinnerung ist: Wenn meine Mutter und mein Vater ausgingen, war das ganze Haus von ihren Düften erfüllt und dazu in gelbliches Licht getaucht. Das waren Lampenschirme, die meine Mutter von ihren Eltern geerbt hat, die ich dann in meine ersten zwei Wohnungen hatte – so lange bis sie zerfallen sind. Sie stammten aus den 30er-Jahren. Das waren Tierhäute, die über eine Glühbirne gespannt waren, die steckten in großen, bauchigen Flaschen voller Schotter oder Sand. Meine Kindheitslampen. Garniert ist die Erinnerung noch mit den Flüchen meines Vaters, der die Krawatte nicht hingekriegt hat, was ich senkrecht von ihm übernommen habe.
Deckt Sich das mit Ihren Erinnerungen, Frau Orth?
ELISABETH ORTH: Sein Zimmer war im ersten Stock. Ich kann mich erinnern, dass er liebend gerne aus der Familie ausgeschert ist, hinauf. Dort hat er Geschichten gehört oder sich selber Geschichten erzählt: u.a. eine Wild-West-Geschichte. Mit Pferdegetrampel. Die habe ich, dumm wie ich war, meinen Eltern zu hören gegeben. Da musste ich ein Jahr darum kämpfen, diese Kassette wieder zu bekommen, weil die wollten sie nicht mehr rausgeben. OBONYA: Und mein Sohn zieht sich jetzt in den selben, zwar umgebauten, ersten Stock zurück. Er ist zwölf und kommt in eine Zwischenphase: er spielt Lego und hört dazu Eminem. Was ich beides sehr schätze.
ORTH: Das Wort für alle Pubertären: Wegen Umbau geschlossen. Das ist von Molden.
Haben Sie bei den Wild-West-Geschichten schon sein schauspielerisches Talent entdeckt? ORTH: Nein, interessanterweise überhaupt nicht. Ich fand es normal, dass mein Sohn so begabt ist. Ich dachte, der wird irgendetwas werden. Aber um Gottes willen nicht schon wieder ein Schauspieler! Es gibt diese ewige Sehnsucht der ganzen Familie endlich ein Mathematiker – aber es kommt keiner.

Bei dem Begriff Mutterstolz: Was verbinden Sie damit?
ORTH: Ich vermeide das Wort Stolz. Ich finde es ganz grauenvoll. Ich weiß noch nach der „Jedermann“-Premiere in Salzburg kam ein Pulk von Pressemenschen und sie sagten: ‘Na, san Sie ned stolz auf den Sohn?’ Und ich sagte: ‘Ich kann mit dem Stolz leider nix anfangen. Ich freue mich. Und zwar aus Herzensfreude.’ Dann haben sie ein bissl blöd geschaut. Die Premiere war wirklich schön: Standing Ovations auf dem Domplatz sind nicht üblich.
Dann formuliere ich die Frage neu: Wann zerreißt es Ihnen als Mutter fast das Herz vor Freude?
ORTH: Wenn ich mit ihm spiele.
OBONYA: Detto.
ORTH: Bei Coriolan (Anm. Am Akademietheater sind Orth und Obonya im Shakespeare- Stück zu sehen): Wenn zum Beispiel die Szene zwischen uns, wo wir uns angiften – deswegen haben wir es ja gespielt – der Funke springt und der springt meistens, dann ist er auch unten, beim Publikum. Da habe ich ein richtiges Glücksgefühl und denke mir: Schade dass der Abend schon zu Ende ist. Das ist ein reines Gefühl: beruflich und privat.
Gibt es neue Ideen für eine Zusammenarbeit?
ORTH: Leider nicht.
OBONYA: So etwas muss wachsen. Wir haben das nie explizit gesucht. Es wird auch in der Außenwahrnehmung ungesund, wenn man zu oft, gerade in diese Familie, miteinander arbeitet. Da habe ich Respekt davor. Das ist wie wenn der Adel untereinander heiratet, 800 Mal hintereinander ...
ORTH: Inzucht heißt das Wort.
OBONYA: Genau, und das auch in diesem Bereich passieren.
Hatten Sie immer eine gute Beziehung zueinander?
ORTH: In der Pubertät hätte ich ihn erschlagen können, zwischendurch.
OBONYA: Ich sie auch.
ORTH: Aber das wussten wir irgendwo unterschwellig. Dann gibt es die schöne Abmachung. Schon beim Krach. Wenn du was schmeißt nach mir, dann hebe es auch bitte auf. Auch wenn ich was schmeiße nach dir, hebe ich es auf. Nicht du. Ich. Das haben wir durchgehalten. Das wirkt wunderbar. Das ist einfach keine Sauerei.
Wurde der Muttertag eigentlich gefeiert bei Ihnen?
ORTH: Auf diese Frage habe ich gewartet. Nein. Drei Rufzeichen.
Und ich habe mit so einer Antwort gerechnet.
ORTH: Wunderbar.
OBONYA: Nein, warte! Ich habe dir schon Geschenke gemacht, in der Schule.
ORTH: Das hat sie nicht gemeint. Roosevelt ... wie hieß sie im Vornamen?
OBONYA: Eleanor.
ORTH: Dankeschön. Eleanor hat das in den USA hoch gepusht, den Mothers Day. Das habe ich irgendwo gelesen und mir gedacht: Schon wieder eine wirtschaftsorientierte Feierstunde. Nein! Das werden wir nicht unterstützen. Wir sind auf jeden Fall weit links von Eleanor und wir werden diese Geschäftspraktiken mit Blumenstrauß und rosa Dingsbums nicht mitmachen. Der größte Horror: Frühstück ans Bett. Weil ich diese Brösel so was von gehasst habe, die natürlich runterfallen. Das habe ich aus ganzem Herzen abgelehnt und er hat mitgetan.
Was hat Sie ihr Sohn noch übers Leben gelehrt?
ORTH: Eine merkwürdige Art von Lebensgeduld, wenn ich das so ausdrücken darf, und von Nachdenken vorm Häferlausbrechen. Das habe ich mit Freude wahrgenommen, weil das auch ein Gruß über 16 Ecken von seinem Vater an mich war.
Und was hat Ihre Mutter Sie gelehrt?
OBONYA: Unendlich viel. Was ich als gelernt bezeichnen würde, ist viel Berufliches. Vor allem eine generelle politisch gesellschaftliche Offenheit nebst vielen anderen Einflüssen. Ich war extrem früh aufgeklärt. Die Zeitungen lagen zu Hause ganz offen herum, ich durfte alles anschauen, habe meine Fragen gestellt oder auch nicht. Es wurde mir alles erklärt. Es gab nie irgendeine Art von Tabu.
ORTH: Ich war viel zu eifrig in der Aufklärung. Kannst du dich erinnern, unter dem Apfelbaum. Du warst ..?
OBONYA: Sechs oder sieben.

ORTH: Aufklärung! Aufklärung! Weil ich nicht aufgeklärt war. Man ließ mich unaufgeklärt mit 16 nach Amerika. Das hat sich mir eingebrannt und ich habe mir gedacht: Das passiert mir bei meinem Kind nicht! In seiner wunderbaren Art hat er gesagt: Es graust ihm so, er würde bitte gerne aufhören.
OBONYA: Was unser Sohn auch gemacht hat.
Wurde viel politisiert bei Ihnen zu Hause?
ORTH: Politisiert eigentlich nicht. Über Politik gesprochen ja. Das ist ein Unterschied. Meistens an aktuellen Erregungen angeschlossen, an Unverständlichkeiten , die aus dem Nachrichtenpool heraus schwappen. Wir haben immer gesagt: Leider haben wir keine Zeit, uns jetzt sofort mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Wofür sind Sie Ihrer Mutter heute dankbar?
OBONYA: Das ist das beste, was man an einem Muttertag von der eigenen Mutter sagen kann, die gegen ihre Eltern, sehr wohl einen ziemlich einsamen Kampf geführt hat, um überhaupt zu einer Haltung zu finden, anders ist als das übliche. Dafür werde ich ihr immer dankbar sein. Sie hat mir mitgeben, dass gewisse Dinge unter Anstand fallen, unter Demokratie, unter humanes Verhalten. Diese Haltung ist es, die wir dringend an andere Generationen weitergeben müssen. Die Argumentation, dass es letztlich niemals um rechts oder links gehen kann, sondern um human oder nicht human, das würde ich mir für unser Land wünschen, die EU auch. Spätestens ab jetzt, wo der Brexit kommt. Und wo Antisemitismus gerade durch diese Regierungszusammenkunft wieder gesellschaftsfähig gemacht wurde, unterschwellig. Übrigens: Was der Herr Köhlmeier im Parlament gesagt hat, das unterschreibe ich voll und ganz. ORTH: Wir waren schon einmal weiter, weil wir nicht so rechts waren. Und rechts war nicht so in Mode. Diese geerbte Feindschaft, die so verbindend ist, ist mörderisch für die Demokratie.
Sehen Sie sich eigentlich oft?
ORTH: Nein, zu selten. Ein wirkliches Glück haben wir gemeinsam erfunden. Ich werde am Sonntag, wenn es der Zeitplan zulässt, zu Hause abgeholt und zum Frühstück gebeten. Schön bürgerlich traditionell, aber wunderbar. Und ich habe immer gesagt: Kinder, wo ist eure Kassa? Weil ich lache so viel mit dieser Familie. Das ist ja besser als Fernsehen!

Kurzinterview zur TV Serie Meiberger 1. Staffel

Fritz Karl, Cornelius Obonya, Ulrike C. Tscharre


CO: „Ich habe mal schlafgewandelt, nach dem Tod meines Vaters. Da war ich neun, und ich soll mehrmals in der Nacht durchs Haus gegangen sein und ich kann mich nur an einen einzigen Moment in den Sommerferien erinnern, wo meine Mutter mich im Badezimmer vorsichtig drauf aufmerksam gemacht und gefragt, was ich denn da täte. Ich hatte mich für die Schule fertiggemacht.“


CO: „Was meine Figur betrifft - ich würde mich mit dem sicher nicht verstehen, weil das bis zu einem gewissen Grad einfach ein Langweiler ist. Das war auch das Schöne an der Rolle, das mal so zu spielen, weil ich sonst sehr gerne zugreife bei Rollen, die natürlich etwas Besonderes haben und hier hat mich tatsächlich das Gegenteil davon gereizt. Das war für mich durchaus ausschlaggebend, jemanden zu zeigen, der vollkommen normal ist. Der kann seinen Job, hat aber auch seinen Feierabend ganz gern. Er ist mehr oder minder ein Mensch, der sagt, okay, das was ich sehe, ist da, und das, was ich nicht sehen kann, ist nicht da. Das ist natürlich anders als ich, weil ich mich dauernd mit Dingen beschäftigen muss, die nicht da sind. Diese Normalität hat mich interessiert. Aber ich glaube, wenn ich mich mit dem unterhalten müsste, wüsste ich irgendwann nicht mehr, was ich so reden sollte.“


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